Sozialpolitik: Auf der richtigen Seite des Schreibtischs

Nr. 42 –

Dieser Tage feiert das Kafi Klick sein fünfzehnjähriges Bestehen. Entstanden ist das Zürcher Internetcafé im Umfeld der sogenannten Arbeitslosenkomitees. Doch was ist von der einst hoffnungsvollen Bewegung geblieben?

zwei Personen sitzen vor dem Kafi Klick
Treffpunkt für jene, die in einer durchkapitalisierten Stadt ansonsten kaum Platz haben: Das Kafi Klick in Zürich.

Es ist ein kühler Oktobernachmittag – und vor dem Kafi Klick hat sich schon eine halbe Stunde vor der Öffnung eine Schlange gebildet. Geduldig warten die Besucher:innen an den Tischen vor der Glasfassade des Internetcafés in Zürich Wiedikon, das nicht nur Gratiszugang zu Computern bietet, sondern auch einen Treffpunkt für jene, die in dieser durchkapitalisierten Stadt ansonsten kaum Platz haben. Neben den Wartenden sitzt Ladina Marthaler an einem dunklen Holztisch und versucht, mit ihrer Stimme gegen den anhaltenden Auto- und Baustellenlärm anzukommen.

«Das ‹Klick› ist mit dem Anspruch gegründet worden, Information für alle zugänglich zu machen – in einer Zeit, in der die Job- oder Wohnungssuche auf einmal digital wurde, viele aber gar keinen Zugang zum Internet hatten», erzählt Marthaler, die heute zum Leitungsteam gehört. Viele hätten im «Klick» zum ersten Mal in ihrem Leben das Internet benutzt. «Von Anfang an wollte es aber auch Treffpunkt für Armutsbetroffene sein», sagt Marthaler. Kollektivität herstellen – und damit auch eine gewisse Handlungsfähigkeit.

Ein gesellschaftliches Wunder

Über die Jahre sei die Nachfrage immer grösser geworden, heute kämen bis zu 95 Personen pro Tag: ältere Schweizer:innen, die ihren Job nach Jahrzehnten verloren haben und auf einmal Onlinebewerbungen schreiben müssen; Migrant:innen, die aus Angst vor der Ausschaffung auf Sozialhilfe verzichten; Leute, die einen Zweitjob suchen, weil der erste nicht mehr zum Leben reicht. Die meisten Besucher:innen kämen immer wieder, sagt Marthaler.

Finanziert wird das Kafi Klick zu je einem Drittel durch Stiftungsgelder, Spenden und einen Beitrag der Stadt, was dem Ort Unabhängigkeit garantiert. Das «Klick» sei schon immer auch ein politisches Projekt gewesen, so Marthaler. «Wir sind parteiisch aufseiten der Armutsbetroffenen, schreiben beispielsweise auch Einsprachen gegen Entscheide der Sozialdienste, was uns stark von anderen Unterstützungsangeboten unterscheidet.» Das sei eine Grundhaltung, «die die Leute merken und schätzen».

Hinzu komme der Anspruch, Gesellschaftskritik zu üben und auf die strukturellen Ursachen von Armut aufmerksam zu machen. «In der individuellen Hilfestellung den Blick aufs grosse Ganze nicht zu verlieren», nennt Marthaler das. Aus diesem Grund habe das «Klick» sich immer auch mit anderen ähnlichen Projekten in Basel, Bern oder der Romandie vernetzt, etwa in der «Allianz gegen Sozialapartheid».

Fast alle diese Projekte sind die versprengten Überbleibsel der weitgehend in Vergessenheit geratenen Arbeitslosenbewegung. Ein «gesellschaftliches Wunder» nannte sie der französische Soziologe Pierre Bourdieu einst. «Die wichtigste Errungenschaft dieser Bewegung ist die Bewegung selbst, ihre Existenz als solche: Sie entreisst die Arbeitslosen der Unsichtbarkeit, der Isolation, dem Schweigen», so Bourdieu in einer Rede.

Die Historikerin Anina Zahn hat ein Buch über die Schweizer Ausprägung der Arbeitslosenbewegung geschrieben. Erstmals Mitte der siebziger Jahre entstanden, in einer Zeit von Post-68er-Aufbruchsstimmung und ökonomischer Krisenhaftigkeit, erreichte sie mit den «Arbeitslosenkomitees» in den Neunzigern ihren Höhepunkt, schreibt Zahn darin. Von Zürich über Bern und Basel bis Lausanne, Genf und La Chaux-de-Fonds fungierten die Komitees als Arbeitslosenlobby: politischer Kampf für die Rechte erwerbsloser Menschen, verbunden mit konkreten Hilfsprojekten. «Die Komitees entstanden als Gegeninitiative zu den auf Kontrolle bedachten sozialstaatlichen Behörden», so Zahn.

Ihren Höhepunkt verdankte die Bewegung auch der ökonomischen Situation: Aufgrund der Rezession stieg die Arbeitslosigkeit in den neunziger Jahren markant an. Gleichzeitig wurden staatliche Unterstützungssysteme abgebaut und die Gesetze verschärft: Unter anderem wurden Taggeldsätze gekürzt, die Bestimmungen für «zumutbare» Arbeit gelockert. 1997, als die Arbeitslosigkeit mit einer Quote von 5,2 Prozent ihren Höchststand erreichte, konnte die Arbeitslosenbewegung auch ihren vielleicht grössten politischen Sieg verbuchen: weitere Kürzungen von Taggeldzahlungen zu verhindern.

In Zürich gründet eine Gruppe entlassener Gewerkschafter:innen 1992 das Arbeitslosenkomitee Zak. Die Regeln sind strikt: Nur Stellenlose dürfen sich aktiv beteiligen, zeitweise hat das Komitee mehr als 500 Mitglieder. Sie organisieren Treffpunkte, Ausstellungen und Diskussionen und publizieren eine eigene Zeitung: «Kalter Kaffee – ganz heiss!».

Mobilisierung als Ziel

In dieser Zeit verliert auch Branka Goldstein ihre Lohnarbeit. Sie sitzt in der alten Beiz Weisses Kreuz beim Zürcher Bahnhof Stadelhofen, wo sie sich regelmässig mit Leuten trifft, die sie seit Jahren begleitet und unterstützt. Sie zeigt sich überrascht, an diesem Abend niemanden zu kennen. Goldstein, mittlerweile im Pensionsalter, ist ein politisches Urgestein; eine der prägenden Figuren der Zürcher Arbeitslosenbewegung. Anfang der neunziger Jahre tritt sie dem Zak bei, gründet dort die Arbeitsgruppe Sozialhilfe.

Das Thema könnte damals virulenter nicht sein: Bei der Sozialhilfe setzt sich das Konzept «Fördern und Fordern» durch. Die Disziplinierung der Armutsbetroffenen durch den Zwang zur Arbeit – für Goldstein ist das «extreme Ausbeutung». Immer mehr Zak-Mitglieder werden zu jener Zeit ausgesteuert. «Diejenigen, die im Komitee etwas gerissen haben, auch mit Computern umgehen konnten, haben bald wieder eine Arbeit gefunden», erzählt Goldstein. Auch deshalb, weil Schlüsselfiguren bald wieder austraten, sagt sie, sei das Zak 1997 eingegangen.

Die AG Sozialhilfe aber hat das Zak überdauert. «Nur einen Buchstaben mussten wir nach der Auflösung ändern», erzählt Goldstein: Die IG Sozialhilfe entsteht. Auch sie bringt eine eigene Zeitung unter die Leute und bietet Rechtsberatung an. Das erste und vielleicht bekannteste Projekt der IG ist aber die «Kulturlegi», die vergünstigten Zugang zu kulturellen Institutionen ermöglicht. «Für uns war die Kulturlegi vor allem auch der Versuch, mit Arbeitslosen in Kontakt zu treten, die wir noch nicht persönlich kannten», sagt Goldstein. Immer mit dem Ziel der politischen Mobilisierung. Heute sagt die Aktivistin: «Das hat nie richtig funktioniert, Armutsbetroffenen geht es dafür zu schlecht.»

Das letzte grosse Projekt der IG ist schliesslich das Kafi Klick, das 2009 erstmals seine Türen öffnet. «Niederschwellig, alles gratis, wir wollten den Leuten ermöglichen, ihren Horizont im Internet zu erweitern», sagt Goldstein, «auch gratis Kleider und Essen boten wir an.» Selbst war sie dort nie operativ tätig, agierte stattdessen im Hintergrund.

Wegflexibilisiert

Immer wieder hätten die Arbeitslosenkomitees auch über bestehende sozialstaatliche Kategorien hinausgedacht, resümiert Historikerin Anina Zahn am Ende ihres Buchs. «Im Rahmen von Diskussionen um ‹Prekarität› mutierte das subjektive Schicksal ‹Arbeitslosigkeit› zunehmend zum gesellschaftlichen Problem, nämlich als soziale Folge eines wirtschaftlichen Strukturwandels.»

Dass von der einst hoffnungsvollen Bewegung heute nur noch versprengte Überbleibsel wie die Komitees in der Romandie und das Kafi Klick existieren, hat ebenfalls mit dem Wandel von Sozialstaat und Arbeitsmarkt zu tun. Dessen sogenannte Flexibilisierung hat nicht zuletzt zu Vereinzelung geführt. Wer bei einer App angemeldet ist, um Reinigungs- oder Kurieraufträge abzuarbeiten, kann sich auch nicht mit Kolleg:innen verbünden. «Viele unserer Besucher:innen arbeiten auf Abruf, werden jeden Tag an einen neuen Einsatzort gerufen; sie haben keinen gemeinsamen Pausenraum, was es auch für die Gewerkschaften schwierig macht, die Betroffenen zu erreichen», sagt Ladina Marthaler vom Kafi Klick.

Die strukturellen Veränderungen hätten sich auch in den politischen Forderungen des Kafis Klick niedergeschlagen. «Am Anfang kämpften wir gegen Ungerechtigkeiten in der Sozialhilfe, später ging es immer mehr um prekäre Arbeitsverhältnisse oder die Verknüpfung von Sozialhilfe und Migrationsrecht», so Marthaler.

Auch wenn inzwischen fast alle Besucher:innen auch ohne das «Klick» in Zürich Wiedikon Zugang zum Internet haben, hat es seinen Charakter als Treffpunkt beibehalten. Zu sehen, dass anderen die gleichen Ungerechtigkeiten widerfahren, ist auch heute noch der erste Schritt zum Handeln.